An dieser Stelle kommentieren wir den Text in der Touristinformation – der trotz unserer massiven Kritik und auch der Forderung, dass der Geschäftsführer Herr Schwenke die inhaltliche Verantwortung übernehmen und sein Amt niederlegen sollte – seit 2013 nicht geändert wurde!
„Im Leben und Schaffen der Künstler brach 1933 eine unsichere Zeit an.“
Dies ist eine pauschalisierte Behauptung! Im nationalsozialistischen Worpswede brachen für einige Künstler auch goldene und sichere Zeiten an:
- 1933 war für Fritz Mackensen ein ganz besonderes Jahr: Bereits während der Weimarer Republik war er ein führendes Mitglied der Worpsweder Ortsgruppe des republikfeindlichen deutschnationalen „Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten“ und trat 1933/34 in die SA ein; im darauffolgenden Oktober wurde er Vorsitzender im völkisch gesinnten antisemitischen „Kampfbund für deutsche Kultur“. Mackensen gründete die erste nationalsozialistische Kunsthochschule Deutschlands, die „Nordische Kunsthochschule“ in Bremen, dessen Direktor er von April 1934 bis zum 31. März 1935 wurde.
- Otto Modersohn verkaufte allein 1934 mehr als 60 Bilder und Zeichnungen: Seine heimatverbundenen Moorbilder trafen den Geschmack der Herrschenden. Als „Rembrandt-Deutscher“ war er Anhänger des Kunstideals Langbehns, der zu den geistigen Vorläufern des Nationalsozialismus gerechnet werden kann.
- Die Mitgliederliste der Worpsweder Ortsgruppe „Kampfbund für Deutsche Kultur“, vom 5. Oktober 1933, belegt, dass auch für diese Künstler der Nationalsozialismus eine sichere Zeit bedeutete: Walter Bertelsmann, Philine Vogeler, Carl Emil Uphoff, Fritz und Lore Uphoff, Hertha Mackensen, Werner Homilius
Diese und weitere Worpsweder Künstler wirkten an der Gestaltung des Nazi-Deutschlands mit.
Für die Künstler Carl Jakob Hirsch und Gustav Regler brach wirklich eine unsichere Zeit an: sie mussten Worpswede verlassen und aus Deutschland emigrieren.
„Werke wurden als „entartet“ beschlagnahmt und aus den Museen entfernt.“
Die Worpsweder Künstler werden hier pauschal als Opfer dargestellt. Die Eingruppierung einzelner Kunstwerke als „entartet“ und ihre Zerstörung soll beweisen, dass ein Künstler augenscheinlich kein Nazi gewesen sein kann. Dies trifft z.B. für Carl-Emil Uphoff und Bernhard Hoetger nicht zu: So war Uphoff, von dem einige Werke aus der Frühzeit sowie der Weimarer Republik als „entartet“ galten, von 1933-1945 einer der führenden Nationalsozialisten in Worpswede – „in Wort und Schrift, im Bild und in der Tat“. Bernhard Hoetger trat bereits 1934 in die NSDAP ein und unterstützte vor allem durch seine Kunst die Idee des Nationalsozialismus (verschiedene Modelle zum „Deutschen Forum“).
„Paula Modersohn-Beckers Bilder gehörten dazu, wurden aber dennoch gezeigt (1938 in Worpswede und 1943 in der Ausstellung „Lüneburger Land“ in Berlin-Niederschönhausen).“
Warum in einem Text über die Zeit des Nationalsozialismus in Worpswede die 1907 verstorbene Malerin Paula Modersohn-Becker genannt wird, ist fragwürdig. Sie war eine Worpsweder Künstlerin zu Beginn des 20.JH. Viele ihrer Bilder wurden später als „entartet“ eingestuft. Indem der Urheber des Textes die Künstlerin gleich zu Beginn anführt, versucht er den Anschein zu erweken, dass die Worpsweder Kunst ab 1933 eher geächtet war.
„Von Bernhard Hoetger wurden 1933 erste Kunstwerke in Bremen zerstört.“
Dieser Satz möchte uns glauben lassen, Hoetger sei Opfer und kein Nationalsozialist gewesen, obwohl er von 1934-1942 Parteimitglied war. Der Kunsthistoriker Thomas Hirthe schreibt über ihn: „Hoetger war nicht einmal nur Mitläufer, sondern Anhänger der Bewegung. Allerdings – und das ist wichtig zu betonen – war er nicht aktiv partei- und realpolitisch tätig. Wohl aber stützte er durch seine Kunst die Idee des Nationalsozialismus und damit das System.“
„Prof. Fritz Mackensen wurde 1933 zum Direktor der neuen „Nordischen Kunsthochschule“ in Bremen berufen, die im Frühjahr 1934 startete. Zum 1.November kam überraschend die Beurlaubung und zum 31.März 1935 die Entlassung. Dessen ungeachtet trat Mackensen 1937 in die NSDAP ein.“
- Dass Fritz Mackensen als Direktor der ersten nationalsozialistischen Kunsthochschule Deutschlands, die „Nordische Kunsthochschule“ in Bremen ernannt wurde, spricht für sich. Seine Entlassung lag nicht an seiner fehlenden Begeisterung für die nationalsozialistische Kunstauffassung, vielmehr an persönliche Machtkämpfe innerhalb der Hochschule, für die Mackensen maßgeblich verantwortlich war. Der Bremer Senat warf ihm fehlende Führungsqualitäten vor sowie die Spaltung der Hochschule. Noch im März 1935 pries Mackensen seine Kunsthochschule: „Die einzige wahrhaft nationalsozialistische Kunsthochschule Deutschlands, …die für uns … eine nationalsozialistische Angelegenheit ersten Ranges ist.“ Dass er am 1. Mai 1937 in die NSDAP eintrat war ein für ihn folgerichtiger Schritt seiner Gesinnung.
- Auf dem 1. Niederdeutschen Malertag 1938 in Worpswede bekannte er sich uneingeschränkt zur Ideologie von „Blut und Boden“: „Wir waren fest verbunden mit ‚Blut und Boden‘ und daraus erwuchs unsere überragende Leistung.“ Auf dem 2. Niederdeutschen Malertag 1939 in Worpswede bekannte Mackensen: „Das Blut ist hier das Ausschlaggebende und dieses muss an den Boden gebunden sein. Nur dann wird die deutsche Kunst auch ihre grenzüberbrückende Aufgabe erfüllen, wenn sie urdeutsch ist.“ (Quellen: Krogmann 2011).
- Mackensen ist augenscheinlich eine Ausnahmepersönlichkeit in der Worpsweder Künstlerszene: 1926 verleiht ihm die Gemeinde Worpswede die Ehrenbürgerschaft: Nach wie vor ist er der einzige Ehrenbürger des Künstlerortes! 1952 erhält Fritz Mackensen das Bundesverdienstkreuz.
„Die Nationalsozialisten nutzten die von ihnen bevorzugte Kunst zu Propagandazwecken.“
- Weite Kreise der Bevölkerung wurden durch die Heimatkunst für völkisches und nationalsozialistisches Gedankengut empfänglich gemacht.
- U.a. Fritz Mackensen, Carl Emil Uphoff, Walter Bertelsmann, Wilhelm Scharrelmann und Ernst Licht hatten sich dafür eingesetzt, dass 1938 der 1. Niederdeutsche Malertag in Worpswede stattfinden konnte: Er war der Abschlusstag der NSDAP-Kulturwoche im Gau Ost-Hannover und sollte zukünftig jährlich stattfinden. An diesem ersten niederdeutschen Malertag proklamierte Mackensen in seiner Rede „Das Weltdorf Worpswede“ erstmalig Worpswede zum „Weltdorf“. Worpswede als Mittelpunkt der Welt für diese heimatgebundene „bevorzugte Kunst“.
- Die Schaffung eines Kunstzentrums des niederdeutschen Raumes war die Forderung nach dem 2. Niederdeutschen Malertag 1939: In einer großen Kunsthalle (auf dem heutigen Besucherparkplatz in der Bergstraße) sollten fortan die Werke von Künstlern ganz Niederdeutschlands schon beim 3. Malertag präsentiert werden, doch dazu kam es nicht: Der Ausbruch des Krieges ließ diese Pläne erst einmal aufschieben…
„Otto Modersohn und Fritz Mackensen erhielten Auszeichnungen und ihre Kunst stand hoch im Kurs.“
- Beide Künstler gehörten kulturgeschichtlich einer Richtung an, die man als „Kulturpessimismus“ beschreibt und die in der niederdeutschen Heimatkunstbewegung aufging: Sie waren gegen Aufklärung, Vernunft, Wissenschaft, Industrie, Säkularisierung, Demokratie und Parlamentarismus. Zu Beginn der Gründung der Künstlerkolonie vor 125 Jahren waren sie begeisterte Rezipienten von Julius Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher“ (1890): „Die deutschen Maler sollten sich, um Heimatkunst zu schaffen, wieder im heimatlichen Boden verwurzeln und nicht mehr um „die Sonne Homers“ zirkulieren, sondern um „die deutsche Erde“. Langbehn gilt als einer der geistigen Vorläufer des Nationalsozialismus und begeisterte mit seinen Forderungen viele Künstler der entstehenden Künstlerkolonie Worpswede.
- Mackensen wurde von den Nazis aufgenommen in die Liste der „gottbegnadeten Künstler“ („Führerliste“) und erhielt die höchste kulturelle Auszeichnung des Hitler-Staates: die Goethe-Medaille
- Auch Modersohn erhielt die Goethe-Medaille und von Hitler persönlich den Professoren-Titel
„Künstler wurden im Laufe der Jahre Mitglieder der NSDAP und der Reichskulturkammer oder versuchten es zu werden. Wer nicht in der Reichskulturkammer organisiert war, hatte keine Möglichkeit, über Bezugsscheine Arbeitsmaterial zu bekommen und war mit Ausstellungs- und Berufsverbot konfrontiert.“
- Für die Künstler war die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer Pflicht für die Anerkennung als Künstler. Es war dagegen keine Pflicht, in die NSDAP einzutreten: Gerade einmal 10 % der Bevölkerung im wahlfähigen Alter waren Mitglieder der Partei. Das hier der „freiwillige“ Beitritt in die NSDAP und die Aufnahme des Künstlers in die Reichskulturkammer in einem Atemzug genannt wird, suggeriert, dass der Parteieintritt obligatorisch und alternativlos war. Die vielen belasteten Worpsweder Künstler werden im aktuellen Text der Worpsweder Tourist-Information als Opfer der NS-Kunstpolitik dargestellt, insbesondere der Reichskulturkammer. Einige Künstler waren ganz und gar keine passiven Opfer: Sie gestalteten bewusst den damaligen Kunstbetrieb aktiv mit und lobten die Reichskulturkammer öffentlich in den Himmel (z.B. Waldemar Augustiny).
- Nicht jeder Künstler trat in die NSDAP ein, auch wenn viele Worpsweder Künstlerkollegen dies taten.
Folgende Künstler, Kunsthändler und Kunstförderer taten es: Erna, Jürgen, Walter und Hilda Bertelsmann; Willy Dammasch; Heinrich Dodenhoff; Bernhard Hoetger; Johannes Höper; Hertha und Fritz Mackensen; Friedrich Netzel II; Martha Netzel; Ernst Licht; Wilhelm Ohle;, Ludwig Roselius; Ludwig Tügel; Carl-Emil, Fritz und Lore Uphoff; Martha Vogeler; Erika Vogt; Paul Ernst Wilke u.a.
Mit dem Eintritt bekannte man, von deutscher Abstammung und frei von jüdischem oder farbigem Rasseeinschlag zu sein und versprach als treuer Gefolgsmann des Führers die Partei mit allen Kräften zu fördern.
Darüber hinaus war der Schriftsteller Wilhelm Scharrelmann „Förderndes Mitglied“ der SS sowie der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“. Waldemar Augustiny trat 1936 dem nationalsozialistischen „Eutiner Dichterkreis“ bei.
„Diese Situation machte Künstler zu Mitläufern und Unterstützern des Regimes. Andere litten und wurden zu Opfern, suchten die innere Emigration, das Exil oder den Freitod.“
- Die Frage, die sich uns hier stellt: Gab es unter den Worpsweder Künstlern während des Nationalsozialismus wirklich nur „Mitläufer“ und „Unterstützer“?
- Das Kontrollratsgesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 unterteilte in fünf Kategorien:
- Hauptschuldige (Kriegsverbrbecher)
- Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)
- Minderbelastete
- Mitläufer
- Entlastete.
Quellen:
1) Text „Nach 1945 – Worpswede wird zum Weltdorf“ aus der Worpsweder Tourist-Information (Stand: 7. Juli 2013);
2) „Landschaft, Licht und Niederdeutscher Mythos – Die Worpsweder Kunst und der Nationalsozialismus“ von Arn Strohmeyer, Dr.Kai Artinger, Ferdinand Krogmann (2000); http://ferdinandkrogmann.de/index.php?sub=buch
3) „Worpswede im Dritten Reich 1933-1945“ von Ferdinand Krogmann (2011); http://ferdinandkrogmann.de/index.php?sub=Buch&num=1068&kat=1068&
4) Schattenblick Buchbesprechung 0/29 zu 3) von Arn Strohmeyer (2012)