Kommentierung Nach 1945

An dieser Stelle kommentieren wir den aktuellen Text:

„Als der zweite Weltkrieg zu Ende ist, bricht auch in Worpswede eine neue Zeit an.“

Ein ideologiefreier Anfang, der den „Weltkrieg“ fokussiert und vom Nationalsozialismus ablenkt?

Gern stellt sich Worpswede auch heute noch dar, als hätte es mit seiner Geschichte im „3. Reich“ abgeschlossen. Alles sei gesagt, geschrieben und damit das Thema abschließend verarbeitet. So könnte denn eigentlich eine „neue Zeit“ beginnen…

„Die kritische Rückschau auf die Ära des Nationalsozialismus bleibt für Jahrzehnte unbeachtet.“

Von der offiziellen Seite Worpswedes und seinen völkisch-niederdeutschen Künstlern gab es keinerlei „kritische Rückschau“ auf die Zeit des Nationalsozialismus. Der Künstlerort fiel eher durch phantastische Legendbildungen auf.

Was nicht stattgefunden hat, kann folgerichtig auch nicht beachtet werden. Der Autor des Satzes impliziert, dass eine Auseinandersetzung zum Thema im Ort stattgefunden habe, aber keiner sie hören wollte: Ausgehend von einem fiktiven Gemeinschafts-Subjekt, dass kritische Selbstreflektion betrieben haben soll – und „für Jahrzehnte“ nicht gehört wurde – macht sich das „Weltdorf“ hier zum Opfer

In der Tat blieben jedoch folgende kritische Rückschauen unbeachtet:

1987 erschien die erste Worpswede-Literatur, die sich kritisch mit dem Ort auseinandersetzte: „Worpswede, Geschichte einer Künstlerkolonie“ des Kulturwissenschaftlers Hans Christian Kirsch; 2000 folgte „Landschaft, Licht und niederdeutscher Mythos“ der Autoren Arn Strohmeyer, Dr. Artinger und Ferdinand Krogmann; 2011 Krogmanns Buch „Worpswede im Dritten Reich 1933-1945“ und schließlich Krogmanns Buch „Waldemar Augustiny – „Schöngeist“ unterm Hakenkreuz“. Moritz Rinkes semifiktiver Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“ folgte einem ironischen Ansatz, das „Kartell des Schweigens“ zu durchbrechen.

All diese bemerkenswerten Versuche „kritischer Rückschauen“ fanden kaum positive Resonanz im Ort – außerhalb Worpswedes dagegen erhielten diese Werke große Beachtung!

Im „weltoffenen“ Künstlerort stießen die Autoren auf „eisige Ablehnung oder totales Unverständnis“, so dass sich der Eindruck manifestierte: „Man will mit seinen Lebenslügen leben.“ (Strohmeyer 2012).

Der Zukunft zugewandt kommen erneut zahlreiche junge Künstler und Kunsthandwerker in den Ort.“

Also resümieren wir noch einmal die beiden Eingangssätze: Die Worpsweder hielten eine Art „kritische Rückschau“, die keiner hören wollte, und nun kommen „Der Zukunft zugewandt … zahlreiche junge Künstler … in den Ort“, die nationalsozialistische Erblasten schlichtweg nicht interessierte, da „jung“, „Der Zukunft zugewandt“ und dazu im Schutzgewandt der „Künstler“ gehüllt. Was blieb den Worpswedern also anderes übrig, als verharmlosende bzw. verschweigende Dorf-Geschichte zu kreieren?

Viele haben im Haus im Schluh ihre erste Station. Hier hält Martha Vogeler die Welt ihres Mannes lebendig, der 1942 in Rußland gestorben ist. Sie veranlasst den Kunsthistoriker Hans-Hermann Rief, das Worpsweder Archiv aufzubauen.“

Hier nun wird das vermeintliche Worpsweder Widerstands-Zentrum während des Nationalsozialismus vorgestellt: Das Haus im Schluh. Heinrich Vogeler, der unbeugsam für seine Überzeugungen in Russland starb als erster – und einziger (?) – Worpsweder Widerstandskämpfer? Die Rolle Martha Vogelers während des „3. Reiches“ ist umstritten.

„Im Haus im Schluh steht Martha Vogeler als Inbegriff einer deutschen Frau, Mutter und Förderin bäuerlichen Volkstums bei den neuen Herren bald in Gunst. Ihr Haus und ihre Handweberei werden zu Musterbeispielen gesunden Volkstums und bodenständigen Schaffens. Häufig kehren Nazifunktionäre, die als Touristen nach Worpswede kommen, dort zu Kaffee und Kuchen ein.“ So der Kulturwissenschaftler Hans-Christian Kirsch.

Ausstellungen der alten Worpsweder begeistern das Publikum. Die große Kunstschau Worpswede nimmt vor allem die Rolle des Erbwalters für die mittlerweile klassischen Werke an. Demgegenüber wird die Worpsweder Kunsthalle unter Friedrich Netzel auch zum Forum für junge Worpsweder und aufsehenerregende Sonderausstellungen mit internationaler zeitgenössischer Kunst. Von nun an gilt Worpswede als Weltdorf und beliebtes touristisches Ziel.“

Die große Kunstschau begeistert nach 1945 durch die alten Worpsweder Meister: Eine zweifelhafte Freude an der völkisch-niederdeutschen Kunst, die im Nationalsozialistischen Deutschland so hoch im Kurs stand. Auch hier täte eine kritische Aufarbeitung der alten Worpsweder not.

Die folgenden superlativen Begrifflichkeiten führen gezielt hin zu einer Auferstehung des zweifelhaften Kernbegriffs dieses Textes der Tourist-Information: Durch „aufsehenerregende Sonderausstellungen mit internationaler zeitgenössischer Kunst“ gilt Worpswede „Von nun an“ als Weltdorf.

Es wird Zeit, mit diesem „Weltdorf“-Begriff endlich – ein für alle Mal – aufzuräumen!

Hier dazu diese historischen Fakten:

Die Nationalsozialisten wollten Worpswede zu einem „Zentrum deutsch-völkischer Kultur“, einem Hort nordisch-niederdeutscher Kunst machen. Dies sollte in einem „Niederdeutschen Kunstzentrum“ in Worpswede manifestiert werden. Hiesige Künstler und Schriftsteller unterstützten diese Idee nach Kräften: Ihnen gelang es, die „Niederdeutschen Maltage“ in Worpswede anzusiedeln.

Auf dem 1. Niederdeutschen Maltag 1938 in Worpswede proklamierte Fritz Mackensen erstmalig in seiner Rede, in der er sich zu „Blut und Boden“ und dem nationalsozialistischen Programm bekannte, den Künstlerort zum „Weltdorf“!

Dieser Begriff wurde also nicht, wie es der Text „Nach 1945 – Worpswede wird zum Weltdorf“ der Tourist-Information versucht zu suggerieren, von „außen“ als „Auszeichnung“ herangetragen!

„Weltdorf“ wurde geboren mit der Vision eines Niederdeutschen Großmuseums der Kunst, in dem man aller Welt darstellende nationalsozialistische Ideologie präsentieren wollte. Es war der Welt-Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus.

Uns macht die gegenwärtige Verwendung des Begriffs „Weltdorf“ mehr als nachdenklich:

75 Jahre nach Mackensens Proklamation Worpswedes zum „Weltdorf“, dient er nun dem Tourismuskonzept der Gemeinde als vermeintlicher Magnet.

Wir stellen die Forderung an alle Verantwortlichen im kulturell-behördlichen Bereich Worpswedes: Streicht diesen ideologieschweren Begriff aus dem Gebrauch der offiziellen Sprache:

Hiermit erklären wir „Weltdorf“ zum Unwort!

„Fritz Mackensen, der Entdecker Worpswedes für die Kunst, stirbt 1953. Mit Gründung des Vereins „Atelierhaus Worpswede“ durch den Maler und Grafiker Martin Kausche wird das Künstlerdorf 1971 zur Stipendiatenstätte. Internationale Gäste aus den Sparten bildende Kunst, Literatur und Musik leben und arbeiten im Ort, einige bleiben dauerhaft. Diese Form der Künstlerförderung ist damals in Deutschland einmalig.“

Zu Fritz Mackensen ist von unserer Seite bereits vieles gesagt. Auch zur „Internationalisierung“ und „Einmaligkeit“ des Ortes.

Es gibt im Worpswede der Nachkriegszeit auch viele positive Aspekte, wie etwa die Stipendiaten-Förderung, kulturverbindende Begegnungen mit internationalen Gästen und die Öffnung der Museen und Ausstellungen für andere Kunstrichtungen – als die der niederdeutschen Heimatkunst.

Der ehrliche Umgang mit der Vergangenheit unseres Dorfes wird uns zukünftig authentisch der Welt öffnen.

Quellen:

1) Text „Nach 1945 – Worpswede wird zum Weltdorf“ aus der Worpsweder Tourist-Information (Stand: 7. Juli 2013);

2) „Landschaft, Licht und Niederdeutscher Mythos – Die Worpsweder Kunst und der Nationalsozialismus“ von Arn Strohmeyer, Dr.Kai Artinger, Ferdinand Krogmann (2000);

3) „Worpswede im Dritten Reich 1933-1945“ von Ferdinand Krogmann (2011);

4) Schattenblick Buchbesprechung 0/29 zu 3) von Arn Strohmeyer (2012)

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