Offener Brief an den Bürgermeister Stefan Schwenke
Worpswede, den 7. Juli 2013
Sehr geehrter Herr Schwenke,
mit der Umsetzung des Worpsweder Masterplans und der Neugestaltung der Tourist-Information hätte Worpswede die Möglichkeit gehabt, eine wirklich neue Ära für den Künstlerort einzuläuten: eine längst überfällige Zeit der ehrlichen Aufarbeitung und Bewältigung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Man sollte meinen, beinah 70 Jahre zum Ende des „3. Reiches“ seien Abstand genug, Orts-Geschichte selbstkritisch zu betrachten.
Diese Chance wurde nun zum zweiten Mal in diesem Jahr verspielt: Zuerst folgte die eigenwillige chronologische Darstellung bedeutsamer Jahreszahlen – mit Auslassung von 1933-1945 und dem fragwürdigen Text Nach 1945 – Worpswede wird zum ‚Weltdorf‘ in der Tourist-Information und nun die Platzierung eines Textes 1933-1945 – Worpswede in der Zeit des Nationalsozialismus mit zweifelhaftem Inhalt.
Herr Schwenke, in unserer Gemeinde besetzen Sie die Doppelfunktion: als Bürgermeister und als Geschäftsführer der Worpsweder Touristik- und Kulturmarketing GmbH. Für die beiden „Lücke-Skandale“ in der Tourist-Information zeichnen Sie als Geschäftsführer verantwortlich.
Im ersten „Lücke-Skandal“ behaupten Sie, die nationalsozialistische Ära im Ort – bei der chronologischen Darstellung wichtiger Jahreszahlen der Künstlerkolonie in der Tourist-Information – schlichtweg vergessen zu haben: da „hab ich auch nicht dran gedacht in der Zeit, als wir das fertig machten, das musste ja auch dann alles sehr flott gehen“. Davor zweifelten Sie die Lücke überhaupt als solche an: „Ich weiß gar nicht, ob das so wie eine Lücke da wirkt.“ So jedenfalls äußerten Sie sich im Deutschlandfunk-Feature, das am 15. März diesen Jahres ausgestrahlt wurde.
Auch nehmen Sie in der Hörfunksendung den „Worpsweder Vorzeige-Künstler“, „Begründer der Künstlerkolonie“ und einzigen „Ehrenbürger“ Worpswedes in Schutz und verharmlosen seine Rolle während des Nationalsozialismus, in dem Sie auf die Forderung der Umbenennung des Fritz-Mackensen-Wegs feststellen: „Jetzt einfach reflexartig, weil Mackensen in der NSDAP war und Nazi war, zu sagen … dass wir das jetzt unbedingt umbenennen müssen.“
Mackensens national völkische Gesinnung ist über die Grenzen Worpswedes hinaus allgemeinhin bekannt und hatte ihn bereits kurz nach dem 1. Weltkrieg zum Mitglied des demokratiefeindlichen „Stahlhelm“ werden lassen. Dass er vor dem Entnazifizierungs-Ausschuss in OHZ unter Leitung des Worpsweder NS Schriftstellers Waldemar Augustiny reingewaschen wurde – und dazu Bundespräsident Theodor Heuss 1952 ihn mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete, macht die „Angelegenheit Mackensen“ keinesfalls zu einem sporadischen Reflex, vielmehr zu einem dauerhaft eingefrorenem sprachlosen Staunen.
Über das Engagement des Künstlers während der Anfangszeit des „3.Reiches“ verweisen wir hier auf unsere Kommentierungen der Texte 1933-1945 – Worpswede in der Zeit des Nationalsozialismus und Nach 1945 – Worpswede wird zum ‚Weltdorf‘ und auch auf die Bücher des Historikers Ferdinand Krogmann.
Ihre Darstellung der Geschichte Worpswedes während des Nationalsozialismus zeigt eine erstaunliche „Reflexlosigkeit“, wenn Sie im Radiobeitrag behaupten: dass „in dieser Zeit 33 bis 45 wegen dieser inneren Emigration der Künstler, der Zurückhaltung, des sagen wir mal: des geheimen Malens im Stübchen, und der Schwierigkeit, dass einige Maler Malverbot hatten, Berufsverbot hatten, hier in Worpswede ja auch, dass man da in dieser Zeit, was Kulturelles angeht, ist in dieser Zeit hier wenig passiert ist.“
Herr Schwenke, ihre Vorfahren wüssten mehr zu berichten und Mackensen sowie viele andere altehrwürdige Kulturschaffende würden sich bei Ihrer Behauptung wohl im Grabe umdrehen: kulturell ist während des „3. Reiches“ so einiges in Worpswede passiert:
Wie sonst sollte man die Teilnahme Worpsweder Künstler an der Großen Deutschen Kunstausstellung 1937 in München erklären? Wie die „Volkstage der Kunst“ in Worpswede, die schließlich übergingen in die 1. und 2. Niederdeutsche Malertage 1938 und 1939 als Abschlussveranstaltung der NSDAP Gaukulturwoche Ost-Hannover? Wie die vielen kleinen und großen Schauen volkstümlicher Heimatkunst, die in jener Zeit im Künstlerort passierten?
Auch literarisch passierte so einiges in Worpswede z.B. mit dem Roman „Die große Flut“ (1943) von Waldemar Augustiny oder auch die vielen „Lobpreisungen“ des Dichters Carl-Emil Uphoff auf Führer und Nazi-Ideologie.
Auch im zweiten, dem aktuellen Skandal, dem „Skandal der gestopften Lücke“, des neu hinzugefügten Infotextes „1933-1945 Worpswede während des Nationalsozialismus“ in der Tourist-Information stehen Sie verantwortlich für die Verharmlosungen, Halbwahrheiten und Auslassungen Worpsweder Geschichte. Der bestehende Text „Nach 1945 – Worpswede als Weltdorf“ ist inhaltlich skandalös, unhaltbar und stellt die Sichtweiße bloß, wie einige wohl gern Worpswede historisch sehen möchten. Dass bei diesem Text in der Überschrift Mackensens Proklamation des „Weltdorfes“ wiederholt und verstärkt wird, kann im historischen Kontext nur tiefes Erstaunen auslösen. Bei all diesen Punkten verweisen wir auf unsere aktuellen Kommentierungen zu den Tourist-Informations-Texten.
Herr Schwenke, der „Skandal der Lücke“ und der der „gestopften Lücke“ mit seinen fragwürdigen Inhalten, welche in den Texten vermittelt werden, schadet dem bundesweiten Ansehen Worpswedes nachhaltig. Zu dem Thema „Nationalsozialismus in der Künstlerkolonie“ gibt es Fach-Literatur, die außerhalb Worpswedes große Anerkennung gefunden hat – allerdings im Verkaufsregal der Tourist-Information nach wie vor keinen Platz findet.
Wir fordern Sie auf, die Verantwortung für die beiden Skandale zu übernehmen und als Geschäftsführer der Worpsweder Touristik- und Kulturmarketing GmbH zurückzutreten!
Dabei würden wir uns wünschen, dass Sie zukünftig als Bürgermeister, die Geschichte Worpswedes während des Nationalsozialismus historisch verantwortlich vertreten.
An der Tagesordnung steht der öffentlich-emphatische Umgang mit den wenigen Worpswedern Bürgern, die tatsächlich Opfer eines von vielen im Dorf getragenem nationalsozialistischen Systems wurden und in jener Zeit Heimat und Leben verloren: Stellvertretend nennen wir an dieser Stelle den jüdischen Kaufmann Walter Steinberg, der glaubte, seine Teilnahme am ersten Weltkrieg schütze ihn vor den menschenverachtenden Maßnahmen der Nazis. Für seinen Irrtum musste er büßen: Er wurde in dieser Zeit von Dorfbewohnern geschmäht, 1942 verhaftet und schließlich deportiert. Im KZ Theresienstadt vergaste man Walter Steinberg.
Warum fällt es der Gemeinde so schwer, für wirkliche Opfer des Nationalsozialismus Mitgefühl zu zeigen? Aus Geschichte erwächst Verantwortung.
Auch andere Gemeinden und Städte in Deutschland haben den Schritt der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gewagt – auch die große Nachbarstadt Bremen.
Worpswede kann bei einer ehrlichen Aufarbeitung seiner Vergangenheit an Attraktivität nur gewinnen!
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Rico Schweter
Sprecher der Bürger-Initiative „Unser-Worpswede.de“
Lesen Sie hierzu auch unsere aktuelle Pressemitteilung vom 7. Juli 2013.
Informieren Sie sich über den skandalösen Text „1933-1945“ aus der Tourist-Information und lesen dazu unsere Kommentierung.Informieren Sie sich über den skandalösen Text „Nach 1945“ aus der Tourist-Information und lesen dazu unsere Kommentierung.